Leithammel

Schönstes Wetter am Einheitsfeiertag. Ausflug nach Siekierki, einem kleinen polnischen Dorf an der Oder. Etwas ausserhalb liegt der Bahnhof, inzwischen in Privatbesitz. Die Gleise der ehemaligen Wriezener Bahn sind bis auf eins abgerissen, hier fährt zur Zeit kein Zug. Sechs amputierte Gleisstücke auf der Strasse lassen jedoch regen Vorkriegsverkehr erahnen.
Als wir einen ehemaligen Bahndamm Richtung Oder entlangspazieren, glauben wir unseren Augen nicht zu trauen: eine mächtige Brücke über den Fluss wird in der Ferne sichtbar. Aber der Bahndamm, auf dem wir laufen, führt nach ca. 2 km links davon weg. Wir wollen jetzt unbedingt zur Brücke, also zurück zur Strasse und auf den kleinen Weg beim Denkmal für gefallene Soldaten. Gepflasterte Einbahnstrasse, ein verwuchertes Gleis daneben, ziemlich schnell ist die Brücke erreicht.


Prächtig und lang bis fast zum Horizont, aber etwas reparaturbedürftig, das ist der erste Eindruck. Menschenleere Landschaft.

Wir tasten uns zögernd über morsches Holz und rostig knirschende Seitenteile, trauen uns aber nur wenige Meter weit. Der Metallmaterialklau ist deutlich sichtbar.

Mit Fotozoom erkennt man eine Insel im Fluss, an die sich zwei weitere Brückenteile anschliessen, ein sehr langes Konstrukt also. Ich muss unbedingt mindestens bis zur Insel! Aber ein Blick durch die morschen Planken auf den tief darunter liegenden Fluss hält mich zurück, ich trau mich nicht, und die beiden M.s sind auch unsicher.
Ein Pärchen mit Oma und Kind im Schlepptau nähert sich. Die Jungen stoppen kurz, sondieren die Lage, betreten dann die Brücke, hüpfen von den Seitenteilen über die Schwellen, schon sind sie bis zur Mitte gelangt, während Oma mit Enkel am Rand wartet. Offenbar suchen sie etwas. Wie sich herausstellt, sind es Geocacher. Wir gucken ihnen staunend hinterher, wagen drei, vier weitere Schritte nach vorn. Wenn die sich trauen, dann ich ja wohl auch, denke ich. Aber ach, die Seitenteile knirschen zu stark, teilweise sind sie hochgebogen, da muss man auf die Schwellen überwechseln, darunter das Wasser. Frustriert kehre ich um.


Unten am Wasser ist es auch ganz schön. Reste einer zweiten Brücke, von den Deutschen 1945 gesprengt, wie ich später lese.

Am nächsten Tag kriegen wir Besuch und fahren noch mal zur Brücke. Was macht Andreas? Wie die Geocacher spaziert er forsch drauflos, seine Mutter flott hinterher, und wie im Sog schliessen wir uns an, hüpfen über Morsches und Rostiges, verdrängen ängstliche Gedanken. Es musste uns nur jemand zeigen: man kann rüber, es hält, nur immer weiter. Manchmal braucht man mutige Anführer. Oder Leithammel. Bin ich eben ein Schaf.


Brückenrest von oben.


Das einzige Haus auf der winzigen Insel, vielleicht eine alte Bahnstation.


Und hier ist die polnische Welt zu Ende. Der Materialklau auf deutscher Seite ist, wie man sieht, noch viel weiter fortgeschritten, links fehlen komplett die Seitenteile.


Rechts können sich Mutige über den Abgrund am Absperrgitter vorbei hangeln. Wir nicht. Inzwischen nieselt es.


Ganz hinten die Brücke. Wir machen uns auf den Rückweg.

Eine spannende Entdeckung. Vielleicht tut sich hier irgendwann wieder was. Mehr über Siekierki und die Europabrücke z.B. hier.

2 Gedanken zu „Leithammel

  1. … ich wäre wohl nicht rüber gegangen. Oder? Vielleicht im Sommer, wenn das Wasser wärmer ist?

  2. REPLY:
    Wenn du es total gern willst, grundsätzlich fähig dazu bist (mobil genug, relativ schwindelfrei) und alle anderen machen es dir ohne Zögern vor, so dass du siehst, das Gerüst ist stabil, nix passiert, dann machst du es auch. Oder?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert